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Abgehauen aus dem Kanzleramt in Berlin

Es ist wieder einmal Freitag, ein Tag, wie der Wochentag schon sagt: ein freier Tag. Ein richtiger Tag zum Nixtun. Ein frostiger Tag, zwei Grad unter Null. Die Rasenfläche vor meinem Balkon ist mit einem leichten Zuckerguss überzogen. Ich kann es kaum glauben: auf dem Balkonkasten sitzt zitternd ein prächtiger Papagei.
“Na, mein Süßer, sage ich. Gehe auf ihn zu und biete ihm meinen rechten Arm an. Er nimmt mein Angebot rasend schnell an. Ich gehe mit ihm ins Wohnzimmer,  wo es mollig warm ist.
“Wo kommste her, mein bunter Papagei? Ist dir nicht kalt, bei diesem Scheißwetter, bei dieser Scheißkälte?”, fragt Otto.
Und was dann geschah, haut dem Faß den Boden raus: Dieser prachtvolle Papagei spricht perfektes Deutsch. Wie Sie und ich!
“Jetzt will ich mich zuallererst einmal vorstellen, wie sich das gehört, verstehste”, sagt der bunte Vogel, ein echter Papagei und keine Kreuzung zwischen Papagei und Amsel, mit viel rot im Gefieder. “Mein Name ist Marek Kaczmarek. Habe mich in Wrotclaw, früher Breslau, vor 60 Jahren aus dem Ei gepellt, gleichzeitig mit meiner Schwester. Ich bin also ein echter Pole, ein Reinrassiger Papagei, der perfekt Deutsch spricht. Politisch bin ich ein Linker, ein richtiger Polit-Aktivist, der sich nix gefallen lässt, kannste mir glauben.
"So, so", unterbreche ich ihn.
"Meine damalige Familie, bei der ich wohnte, war so ein richtiger schlesischer Menschenschlag, war komplett im damaligen Breslau geboren, die 1946 noch rausmachen wollte, aber den Zug verpasste.
Also mussten sie in Breslau bleiben und wurden Polen, keine echten Polen, denn sie sprachen nur Deutsch”, erzählt Marek völlig übermüdet weiter.
“Damit du weißt, wo du gelandet bist", betone ich lautstark, "im schönen Bonn."
"Meinste ich bin doof!", rief Marek.
"Ist ja schon gut! Ich heiße Otto, manche sagen auch Ötte zu mir, hauptsächlich die Frauen, die ich kenne und das nicht wenige. Auch ich bin in Breslau geboren, nicht wie du, in Wrotclaw. Ich wurde mit meinen Eltern und meiner Schwester von den Polen aus der schönen Stadt vertrieben. Ich hab’ noch meinen Vertriebenenausweis, kannste mir glauben. Willste ihn sehen?" Ich zeig ihm das kleine Papier. "Das war im Mai 1946, wo wir mit dem letzten Zug in den Westen rausgemacht sind. Allerhöchste Eisenbahn! Acht Tage lang waren wir mit dem Viehtransportzug auf Achse, kannste mir glauben. Jetzt aber Schluss mit dem Gesülze von früher”, sage ich.
Und etwas später, nachdem der bunte Vogel Marek ausgeschlafen hat, lässt er mich wissen, dass er aus Berlin per Anhalter, nach acht Stunden Fahrt, hier gelandet sei. Und zwar im Daimler mit einer flotten Biene, so um die 40. "Ein richtig toller Schuss!", stellt er fest.
Sein letztes Domizil sei das Kanzleramt gewesen. “Otto, glaub’ mir, ich darf dich doch duzen, oder? Ich nicke. "Wir sind doch jetzt echte Kumpels und bestreiten ab jetzt das schöne Leben, was ich bei dir haben werde, gemeinsam, alles klar? Ich werde dich im letzten Drittel der Alterspyramide, lieber Otto, begleiten, wenn du mich so nimmst, wie ich bin, als ein ganz lieber gefiederte Geselle, verstehste!"
Ein Leben mit Angie
"Was ich da alles erlebt habe beim Angela, geht auf keine Kuhhaut. Wenn das Angie im Amt gewesen ist, dann hat sie permanent mittags deftig reingehauen, alles fette Sachen und viele Gummibärchen, die die Musleme wegen dem Schwein darin, nicht essen. Anschließend hat sie immer ein Nickerchen gemacht, ganz ehrlich. Umsonst wirste doch nicht so kugelig und kriegst das Ansehen einer rundlichen bella figura. Der Helmut Kohl soll mal gesagt haben, das dat Angela keine Essmanieren und er sie zu keinem gemeinsamen Essen mehr eingeladen habe. Bei offiziellen Essen fürs Vaterland, sei es immer blamabel gewesen.”
"Warum haste denn nix zum Angela gesagt, Marek?", frage ich.
"Ich bin doch nicht blöd, dann hätte die doch gewusst, dass perfekt die Deutsche Sprache beherrsche und sie hätte mich womöglich noch rausgeschmissen. So erfuhr ich alles."
"Haste überhaupt mal einen Ton von dir gegeben?"
"Na klar, immer dann, wenn sie mich an einem meiner zwei Silberkettchen, die ich an meinen zarten Füßchen trage, gezogen hatte. Wenn sie am linken Kettchen gezogen hatte, dann habe ich sie begrüßt und rechts, immer dann, wenn sie auf Reisen ging, zur Verabschiedung, beispielsweise zu ihrem Franzosen-Freund nach Paris flog, den sie ja heiß und innig liebt, musste wissen. Ich hab' ja einige Telefonate mitgehört. Ich kann die Liebesgeschichten beurteilen, aber kein anderer. Hoscht mie?"
"Und was wäre passiert, wenn sie gleichzeitig an beiden Fußkettchen gezogen hätte?", frage ich.
"Mensch Otto, dann wäre ich ganz schön auf die Schnauze gefallen, ist doch klar, oder?."

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